Radiologie und Schwangerschaft

Stellungnahme von Diversity@DRG zum Umgang mit dem Mutterschutz in der ärztlichen Berufsausübung

Der folgende Text ist eine erste Stellungnahme von Mitgliedern des Diversity Netwerkes zu der Frage, ob eine Weiterbeschäftigung während der Schwangerschaft in der Radiologie möglich ist, verfasst von PD Dr. med. Nienke Lynn Hansen. Wir arbeiten derzeit weiter an einem ausführlichen Handbuch zum gleichen Thema und freuen uns über Euren/Ihren Input an diversity @drg.de.

Die Deutsche Röntgengesellschaft hat in den  vergangenen  Jahren bereits begonnen,auf das Thema „Diversity & Inclusion“ aufmerksam zu machen und im Hinblick auf mehrDiversität innerhalb der Organisation tätig zu werden. Ziel der Diversity@DRG-Initiativeist es deshalb, hier als deutsche Fachgesellschaft das bereits bestehende Momentumzu  vertiefen  und  zu institutionalisieren. In einem  hinsichtlich des Geschlechts und dersozialen  Herkunft  sowie  der  aktuellen  Karrierestufe  ausgeglichenen  Konsortium  ausRadiologinnen  und  Radiologen,  der  DRG-Geschäftsstelle  und  anderen  Assoziiertensollen Ideen und Modelle erarbeitet werden, wie die Radiologie größere Vielfalt abbildenund bestehende und anzuwerbende Potentiale besser nutzen kann. Hierdurch soll einModellcharakter und eine öffentliche, der Fachgesellschaft bewusste Bewegungentstehen,  welche  anschließend  auf  weitere  Felder  der  Medizin  ausgeweitet  werdenkönnen.  Hierzu  gestalten  wir  seit  2021  auch  den  Podcast  „RADiversum“,  der  sich  mit  Vielfalt  inder DRG und der Radiologie beschäftigt.

Ich selbst bin derzeit stellvertretende Vorsitzende der Diversity-Kommission der Deutschen Röntgengesellschaft, angestellte Fachärztin für Radiologie in einem MVZ für Radiologie und bereits zweimal als Schwangere unmittelbar selbst konfrontiert mit der Vereinbarkeit von Schwangerschaft und ärztlicher Berufsausübung. Zunächst meine eigene Vision wie eine gelungene Vereinbarkeit von Schwangerschaft und Radiologie aussehen könnte:

Nach offizieller Mitteilung der Schwangerschaft an die Chefärztin erfolgt ein Gespräch mit der Personalverantwortlichen Oberärztin. Hier wird der Weiterbildungs-Status bzw. die noch fehlenden Weiterbildungszeiten und Untersuchungszahlen bis zur Facharztprüfung bzw. nach bereits abgeschlossener Facharztweiterbildung das bisherige Tätigkeitsfeld und Wünsche und Vorstellungen der Schwangeren bezüglich der weiteren Tätigkeit bis zum Mutterschutz und ggf. nach der Elternzeit ermittelt. In der Radiologie ist eine Weiterbeschäftigung der schwangeren Ärztin grundsätzlich möglich. Angeboten wird insbesondere ein patientenferner Einsatz in der MRT-Befundung, der CT-Befundung und der Röntgen-Befundung oder bei entsprechenden Weiterbildungsstand auch funktionsärztliche Tätigkeiten wie die Befundbesprechung und Befundfreigabe mit Assistenzärztinnen der genannten Bereiche oder die Teilnahme an interdisziplinären Tumorboards/Befunddemonstrationen mit anderen Fachrichtungen. Je nach Antikörper-Status und Wunsch der schwangeren Ärztin sind auch Aufklärungstätigkeiten und Einsatz in der Ultraschalldiagnostik mit Patientenkontakt möglich. Die Anlage von intravenösen Zugängen ist grundsätzlich durch KollegInnen an den Arbeitsplätzen zu organisieren und kein Ausschlussgrund für den Einsatz an den genannten Befundarbeitsplätzen. Die Durchführung von radiologischen Interventionenunter Durchleuchtung oder CT-Kontrolle innerhalb des Kontrollbereichs ist laut §55 Strahlenschutzverordnung nur erlaubt, wenn der Strahlenschutzbeauftragte oder, wenn er die erforderliche Fachkunde im Strahlenschutz besitzt, der Strahlenschutzverantwortliche a) ihr den Zutritt gestattet und b) durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherstellt, dass der besondere Dosisgrenzwert nach § 78 Absatz 4 Satz 2 des Strahlenschutzgesetzes eingehalten und dies dokumentiert wird.

Die arbeitsorganisatorische und körperliche Belastung der Schwangeren wird in monatlichen Gesprächen mit der Personalverantwortlichen Oberärztin evaluiert. Proaktiv ist ein arbeitsplatznaher Ruheort mit Liegemöglichkeit vorhanden und das Aufsuchen dieses Ortes in den Arbeitsabläufen möglich. Sollte die Schwangere Ärztin im Verlauf ihrer Schwangerschaft eine Überlastung feststellen, wird gemeinsam überlegt wie die Tätigkeit verändert und den körperlichen Veränderungen angepasst werden kann. In Rücksprache mit der zuständigen Gynäkologin oder Betriebsärztin ist auch eine Stundenreduktion in Form eines Teilbeschäftigungsverbotes ohne Sorge um eine Reduktion des Elterngeldes möglich. Dank berufspolitischer Initiative müssen schwangere Ärztinnen in Weiterbildung trotz Teilbeschäftigungsverbot keine Verlängerung der Weiterbildungszeit mehr befürchten. Innerhalb der eigenen Abteilung ist auch z.B. eine Entlastung von meist nachmittäglichen interdisziplinären Befunddemonstrationen möglich.

Vor Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes wird nochmals das Gespräch mit der Schwangeren gesucht und der Wunsch nach Rückkehr und mögliche Einsatzgebiete/Beförderungsmöglichkeiten mit und ohne Teilzeitmodellen nach der Elternzeit ausdrücklich übermittelt. Da erfahrungsgemäß oftmals mehrere Kolleginnen gleichzeitig schwanger sind, wird z.B. angeregt ob sich zwei Fachärztinnen langfristig nach der Elternzeit eventuell eine ganze Stelle als Oberärztin teilen möchten. Auch ausgefallene Teilzeitkonzepte (z.B. ein Tag/Woche anwesend plus teleradiologische Nachtdienste) sind gerade in der Radiologie möglich. Es wird unter den Kollegen und Vorgesetzten wertgeschätzt, dass auch an in verkürzter Arbeitszeit hervorragende Arbeit geleistet werden kann und mehr Teilzeitkräfte eben auch mehr Köpfe mit mehr spezialisierten Wissen innerhalb einer Abteilung bedeuten. Gerade an kleineren Häusern kann man hierdurch eine größere Bandbreite abbilden.

Den Vorgesetzten ist bewusst, dass Fachärztinnen durch ihnen entgegenkommenden Erhalt einer Stelle nach einer Schwangerschaft langfristig an ihre Abteilung gebunden werden können. Bei der frühzeitigen Organisation der Kinderbetreuung steht die Personalabteilung mit Rat und Tat beiseite und bietet unmittelbar einen Platz in der klinikeigenen Kindertagesbetreuung an. Die Schwangere und Mutter fühlt sich über den gesamten Prozess und in Zukunft als Teil des Teams und wertvolle Arbeitskraft erwünscht und gesehen.


Folgende Positivbeispiele sollen eine tatsächlich bereits umsetzbare Vereinbarkeit von
Schwangerschaft und radiologischen Berufsalltag illustrieren:

  • Sicht einer Assistenzärztin an einer Uniklinik: In meiner Schwangerschaft habe ich uneingeschränkt weitergearbeitet (außer Dienste) und habe sogar meine erste MRT-Rotation zu Ende gebracht. Das fand ich sehr gut, dass man mich nicht direkt in meiner Schwangerschaft ins Röntgen oder so gesteckt hat, sondern mir die gleichen Chancen wie den anderen gegeben hat. Die Zugänge haben meine Kollegen gelegt, was kein Problem war. Dafür habe ich das ständig klingelnde Telefon genommen. Gerade in den Coronazeiten gelingt es auch ziemlich gut in der Abteilung muss ich sagen. Unsere schwangeren Kolleginnen dürfen auch weiterhin personenfern arbeiten und dafür gibt es ein eigenes Büro für sie. Die Befunde werden telefonisch mit den OÄ besprochen.Manche schwangeren Kolleginnen haben sogar ein Homeoffice Setup gekriegt und befunden die CT/MRs bequem von Zuhause. Meine Kolleginnen haben auch die anderen Aufgaben, z.B. Unterstützung bei der Lehre übernommen. Da die meisten Boards jetzt Online stattfinden, werden in der Neuroradiologie auch Boards von einer schwangen Kollegin personenfern online gehalten, was auch sehr gut funktioniert.“
  • Sicht einer Oberärztin an einer Uniklinik: Bis auf Dienste, Interventionen und Tätigkeiten in Bereichen mit erhöhter Infektionsgefahr führe ich meine Arbeit normal aus. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich mein Alltag bedeutend verändert hat. Welches Fach, wenn nicht die diagnostische Radiologie, mit großenteils sitzender Tätigkeit am Computer und recht wenig Patientenkontakt (zumindest im ärztlichen Bereich) ist prädestiniert für
    die Vereinbarkeit von Schwangerschaft und Beruf. In der interventionellen Radiologie sieht es sicher anders aus. Hier müssen gemeinsame Absprachen getroffen werden, welche Tätigkeiten noch ausgeführt werden können bzw. welches eigene Risiko die Schwangere tragen möchte. Ein Teilzeitbeschäftigungsverbot ist hier vielleicht auch eine gute Option.“
  • Sicht einer interventionell tätigen Radiologin: „In der IR arbeiten durfte ich in beiden Schwanger-schaften nicht. Das wollte ich auch selber nicht. In meiner ersten Schwangerschaft konnte ich ganz viel im Homeoffice arbeiten. Mir wurde ein Dienstrechner gestellt und die Spracherkennungssoftware installiert usw. Das fand ich super. Bei meiner zweiten Schwangerschaft war ich dann im Berufsverbot. Das geschah dann aber auch auf meinen eigenen Wunsch. Ich hatte aber nie das Gefühl aufs Abschiebegleis gestellt zu werden. Ehrlicher-weise haben wir auch dafür zu wenige Kollegen, dass man das machen könnte. Ich denke, wenn ich es ausdrücklich gewünscht hätte, hätte ich auch noch mit strenger Überwachung in der Angio arbeiten können.“
  • Sicht einer Praxisgesellschafterin: Schwangere Ärztinnen arbeiten ganz normal weiter, außer dass sie keine Zugänge legen, keine Intervention und keine Dienste mehr machen. In der Pandemiesituation hatten wir es bei den MFA und MTAs so gemacht, dass sie im Homeoffice für die Anmeldung oder Abrechnung arbeiten. Drei hatten sich Beschäftigungsverbote geholt, da Fehlgeburten in der Vorgeschichte. Bedingt durch das relativ junge Durchschnittsalter der MTAs müssen wir uns relativ häufig umorganisieren... Aber ich sag mir immer: Spricht für die Praxis, wenn so viele schwanger werden.“

  • Sicht  eines  Personal-Oberarztes  einer  Uniklinik:  „Natürlich fällt in dem Moment eine Kraft für die Nachtdienstbereitschaft weg. Da ist für die KollegInnen immer die Herausforderung, wie viele sind da noch, die die Nachtdienste dann noch übernehmen können, und da kommen wir gerne mal an die Grenzen dessen was vom Tarifvertrag her erlaubt ist oder als zuzahlungspflichtige Sonderbelastung für die anderen Mitarbeiter  abläuft.  Bei  einer  größeren  Abteilung  wie  unserer  wird  das  üblicherweise ganz kollegial gelöst. Ein weiteres Thema was uns häufiger trifft sind Teilbeschäftigungsverbote, das ist für die Abteilung seltener ein großes Problem, denn die meisten sind in den 4-5h dann durchaus effektiv. Es ist ein viel größeres Problem nachher für die Anerkennung der Weiterbildungszeiten, weil das von den Ärztekammern nachher auf eine 38,5h-Woche runtergerechnet wird. Das ist etwas, das man in der Zukunft mal überdenken könnte. Denn zum Teil arbeiten die Kolleginnen ja wenn sie nicht schwanger sind bis 42h, das wird nicht berücksichtigt, wenn sie weniger arbeiten wird das natürlich berücksichtigt. Das ist sicherlich kein ganz faires System. Im Bereich  der  Fachärztinnen und  Oberärztinnen  wird  von  der  Personaldecke  die  Luft schon  dünner  und  Ausfälle  sind  häufig  schwierig  zu kompensieren,  gerade  wenn  die Kolleginnen fest  in  der interventionellen  Radiologie  eingesetzt  werden,  kann es dazu führen,  dass  man  größere  Umstellungen  braucht  um  das  zu  kompensieren. Ich se-he insgesamt aber die Schwangerschaft nicht als Problem, sondern eigentlich die Herausforderung eher im Bereich der Wiedereingliederung, also was kommt denn nach der  Elternzeit.  Denn  die  meisten  kommen  ja  in  Teilzeit  wieder  und  das  wird  immer schwierig  für die Kolleginnen da vernünftig an den Nachtdiensten oder an den Weiterbildungsrotationen teilzunehmen. Auch auf den FA/OA-Bereich übertragen sind die Teilzeitkräfte da von je her benachteiligt, denn sie sind weniger kontinuierlich da, sie können an manchen Tagen nicht die Entscheidungen mittreffen, weil sie sich einfach um ihr Kind kümmern müssen. In den Momenten, wo man Nacht- oder Bereitschaftsdienste absolvieren muss, ist man absolut auf seinen Partner angewiesen und die haben ja häufig genug auch Berufe in denen sie gefordert werden aber das ist bei dem Konzept Elternzeit nicht so wirklich mitbedacht worden. Mein Eindruck ist, dass man die Medizin in 24/7 Betrieben wie einer Universitätsklinik da so ein bisschen alleine lässt.  Wir  haben  auch  Situationen,  in  denen  Mütter  Muttermilch  abpumpen  oder Stillzeiten benötigen, da sind die Betriebe aufgefordert sich völlig flexibel zeigen aber, wo  ein  Wille  ist,  ist  auch  ein  Weg,  das  hat  bei  uns  hervorragend  geklappt,  wer  das braucht  bekommt  ein  eigenes  Zimmer  und  kann  dort  abpumpen  oder  stillen.  Es  gibt auch genügend Betriebe, an denen Betriebskindertagesstätten ermöglichen, dass die Mütter oder Väter ihre Kinder direkt mitbringen, was das Leben ein großes Stück leich-ter macht.  Kurz  zusammengefasst,  das ist  alles  ein  Bereich  von miteinander,  wollen  wir Dinge möglich machen, und umso mehr Miteinander herrschen kann und umso größer eine Abteilung ist, umso leichter ist das alles umsetzbar, die kleineren Abteilungen sind da mit großer Sicherheit deutlich mehr gefordert.“

Den Mitgliedern der Diversity-Kommission der DRG ist bewusst, dass die hier aufgeführten Lösungen nicht der Realität an allen radiologischen Kliniken und Praxen entsprechen. Insbesondere der letzte Beitrag macht deutlich, dass das gedanklich anschließende Thema „Radiologie und Elternschaft/Teilzeittätigkeit“ noch ausführlicher zu diskutieren ist. Die hier genannten Beispiele zum Umgang mit schwangeren Ärztinnen sollen zunächst als Gedankenanstoß und Argumentationshilfe dienen, damit Sätze wie „Wenn es Ihnen zu viel wird, können Sie sich ja ins Beschäftigungsverbot schicken lassen.“ und „Meinetwegen brauchen Sie auch gar nicht wiederkommen.“ in Zukunft der Vergangenheit angehören.